Wortkunst aus dem DIN-Format

Felicia Zeller lauscht für ihren Text tief ins Frauenhaus hinein. Und sampelt die gesammelten Schicksale und Stimmen zu einer Sprechoper.

"Antrag auf größtmögliche Entfernung von Gewalt" von Felicia Zeller, uraufgeführt von Eike Weinreich am Theater Oberhausen © Axel J. Scherer

Felicia Zeller, geboren 1970 in Stuttgart, ist Dramatikerin, Prosaautorin und Medienkünstlerin. Bei ihrer ersten Einladung zu den Mülheimer Theatertagen gewann sie 2008 den Publikumspreis mit der seither landauf, landab nachgespielten Sprechoper "Kaspar Häuser Meer". Zeller ist für die Musikalität ihrer flächigen, oft aus Interviews mit Beamtinnen und Sachverwaltern gespeisten Texte bekannt. Sie ist zum siebenten Mal nach Mülheim eingeladen.

Steckbrief zum Stück

Worum geht es?

Um Frauen im Frauenhaus. Also Frauen, die vor häuslicher Gewalt geflohen sind. Ihre Erfahrungen und ihre Perspektive bringt Felicia Zeller snapshotartig in sechzehn Szenen vor: Wir hören von den Schlägen, dem Verbrühen mit Kaffee, den gebrochenen Knochen, von Erpressungsversuchen, von der Instrumentalisierung der Kinder durch die Männer, wir hören – je nach kulturellem Hintergrund der Frauen – von Zwangsehen und von den Schwierigkeiten, im Rahmen des deutschen Ausländerrechts einen dauerhaften Schutz vor dem männlichen Zugriff zu erreichen.

Zu sehen bekommen wir von all dem nichts. Das Stück ist kein Drama mit vorgeführter Handlung, sondern durch und durch narrativ, eine Sprechoper, in der die Schicksale erzählerisch erinnert werden.

Worum geht es wirklich?

Felicia Zeller schreibt keine Dokumentarstücke, die sich in der Berichtform erschöpfen. Sie verwandelt das recherchierte Material in Klangflächen, rhythmisiert es, loopt es, kehrt das Floskelhafte des Sprechens heraus. Ihre Poesie spreist sich aus dem eigenartigen Duktus von Formularen, wie er die Kommunikation in Sozialämtern prägt. Zellers Figuren sind Träger statistischer Erfahrung, ihre Hooklines den Antragskästchen des Behördenbogens abgelauscht. Wenn ihnen etwas passiert, dann am "SOUNDSOVIELTEN SOTEN". Sie sprechen von sich selbst anonymisierend als "VORNAME NAME". Mitunter rutscht das formatierte Sprechen in Momente schlagender Einfachheit und Klarheit: "Totmachen ist mehr rechtswidrig als vor dem Totgemacht-werden fliehen."

Wie klingt das Stück?

Wo Verben oder ganze Satzteile wegfallen, weil sich Aussagen sowieso umstandslos zu Ende denken lassen, weil alles so automatisiert und routiniert verläuft, da ist man mitten in den Kompositionen von Felicia Zeller angekommen. Wortkunst aus dem DIN-Format. Immer wieder aber tun sich in den Satzlücken tiefe Abgründe auf: "Weiß sie denn nicht, dass ich ...", sagt die Protagonistin Anna, wenn sie ohnmächtig vor einem Schreiben aus der Ausländerbehörde steht.

Wohin von hier aus?

Am besten in eine Live-Lesung von Felicia Zeller. Wer einmal erlebt hat, wie die Autorin selbst mit einem kleinen Mischpult ausgestattet die diversen Stimmen ihrer Stücke mischt und verfremdet, der weiß, was in diesen Theatertexten an Klangerlebnis drinsteckt. Zeller ist die Sound-Ingenieurin der neueren Dramatik.

(Christian Rakow)

Felicia Zeller 1200 Sandra SchuckFelicia Zeller © Sandra Schuck

7 Fragen an die Autorin

Was steht bei Ihnen ganz am Anfang der Arbeit an einem Stück?

Meistens ein konkreter Satz. Meistens ein Satz, den ich irgendwo gefunden, gehört oder gelesen habe. Ein Satz oder auch nur ein halber Satz, der bei mir eine Vorstellung von der Stimmung und der Struktur des zu Schreibenden erzeugt. Aus den Gesprächen, die wir für "Antrag auf größtmögliche Entfernung von Gewalt" mit ehemaligen Frauenhausbewohner:innen geführt haben, habe ich sehr viele konkrete Impulse bekommen. Unter anderem erwähnten die Frauen oft das genaue Datum, die Uhrzeiten, zu denen sie uns oder dem Gericht schilderbare, "verständliche" Gewalt erfahren haben. Diese Zeitpunkte sind nur die Spitzen eines ganzen Systems von Gewalt, dem sie ausgesetzt waren. Dieses formale Element, das die erlebte Gewalt einerseits realer, andererseits auch unpersönlicher macht, habe ich weitergeführt. Der erste Titel für das Stück war TAG MONAT JAHR.

Was sollten Stücke können?

Sie zeigen den Körper der Sprache. Das Gefangen-Sein der Menschen im Körper der Sprache. Sprache, mit der sie sich verwalten. Sprache, mit der sie sich verständigen wollen. Soziale Systeme, in denen sie sich befinden.

Worüber könnten Sie niemals schreiben?

Meine Lieblingsfarbe ist blau. Oder rot.

Was ist Ihre liebste Behauptung über das Theater?

Theater ist cool.

Welche Aussage sollte man nicht mit Ihrem Werk in Verbindung bringen?

Zu viele Wörter. (Streich er einige, dann ist es richtig!)

Welcher Klassiker imponiert Ihnen? Und warum?

Das Stück, das mir am allermeisten imponiert, ist ein moderner Klassiker: "Aus der Fremde" von Ernst Jandl. Mitten im Stück findet die Figur des Autors einen Motor für das Stück, eine strenge Form, in der er die ganze Zeit schon beeindruckend lässig gesprochen hat: "Zeilen jeweils drei / fortlaufend nummeriert / bis es ein Stück sei".

An welchem Ort, abgesehen von Bühnen, würden Sie Ihr Stück gerne einmal aufgeführt sehen?

Theatergebäude, Bühnen, selbst Vorhänge, ich mag ja diesen ganzen Vorführ-Apparat. Die Absicht der Vorführung. Deshalb könnte ich mir eine ausgelagerte Inszenierung meiner Texte am ehesten in einer Kirche von der Kanzel oder mehreren Kanzeln herab vorstellen. Oder ich performe sie selbst mit meinem Stimmverzerrer, mit dem ich alle Rollen selbst sprechen kann, irgendwo im Innern einer angenehmen Bar.

 

Kommentare  
Antrag, Oberhausen: Macht süchtig
Wollte nur mal kurz ein bisschen reinlesen. Etwas prokrastinieren und dann weiterarbeiten.
Hat schon wieder nicht geklappt. Schon wieder weitergelesen, den nächsten Link aufgemacht, den nächsten, und eine Seite mit 10 Links auf einmal gefunden...
Verdammt nachtkritik, ihr macht mich süchtig.
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