Antrag auf größtmögliche Entfernung von Gewalt – Felicia Zellers harter Bericht von Schicksalen im Frauenhaus
Home no sweet home
Harter Stoff, unverstellter Blick. Felicia Zellers "Antrag auf größtmögliche Entfernung von Gewalt" erzählt von Schicksalen aus dem Frauenhaus. In sehr eigener Diktion. Aber die Zeller'sche Gangart ist nicht ohne Tücken.
Von Marlene Drexler
6. Mai 2024. Macht doch mal einer das Licht an! Möchte man in den ersten Minuten dieses Abends instinktiv der Technik zurufen. Denn, was da auf der Bühne passiert, ist im wahrsten Sinne des Wortes: verschattet.
Ein Haus wie ein Skelett. Nackte Eisenstangen, keine Wände. Reingucken kann man zwar, aber das Innere zeigt sich nur schemenhaft. Die dünnen Vorhänge davor lassen die Sicht verschwimmen. Nur eines – der überhaupt einzige Gegenstand auf der Bühne – flackert einem gespenstisch entgegen: ein schwarzes Quadrat, das mit weißen Leuchtbuchstaben ein "home sweet home" anpreist. Drei Worte purer Sarkasmus. Denn sweet ist hier gar nichts.
Verschiedene Milieus, die gleiche Gewalt
Felicia Zellers Stück "Antrag auf größtmögliche Entfernung von Gewalt" – mit dem sie sich die siebte Einladung nach Mülheim erschrieben hat – handelt von einem Frauenhaus. In 16 Kapiteln dokumentiert die Autorin und selbsternannte "Wirtschaftsdramatikerin" unterschiedliche Schicksale. Jede Geschichte beginnt irgendwo für sich, um dann im gleichen Sumpf zu enden. Einem Sumpf aus Gewalt und Ohnmacht.
Wie in der Realität tauchen hier Frauen quer durch alle Milieus auf. Von der Karrierefrau "Melanie" über "Anna", die aus einem "unsicheren Herkunftsland" kommt, bis zu "Ronja", die gegen ihren Willen mit ihrem Cousin verheiratet wurde. Ihre Männer sind allesamt Gewalttäter, deren psychische und physische Brutalitäten fast minutiös ausgebreitet werden. Beeindruckend unverstellt kommt patriarchale Gewalt ebenso im sozialen wie im Kontext unterschiedlicher Kulturkreise in den Blick.
Sätze ohne Ende
Regisseur Eike Weinreich hat sich von Zeller ein Stück zum Thema gewünscht. Die Autorin hat selbst in einem Oberhausener Frauenhaus recherchiert und Interviews mit Bewohnerinnen geführt. Die Machart ist vertraut: Der Text kommt flächig daher, gibt aber dennoch viele griffige Möglichkeiten zum differenzierten Anpacken. Zeller lässt die Sätze mal abbrechen, mal in sich unvollständig. Mit unterschiedlichen, aber immer frappierenden Effekten.
Sätze wie "Halt dein Maul und sitzt sofort Auto" verhallen in Grobheit und einer Haltung aus Ich-mach'-mir-nicht-mal-die-Mühe-es-ordentlich-zu-sagen. Dagegen wirken abreißende Aussagen wie "Ich hatte mir die Nummer vom Frauenhaus schon seit längerem …" wie heimlich antrainiertes (Über)lebensmantra. Nebenbei ist dieser spezielle Stil ein ausgesprochen magisches Beispiel dafür, wie aus weniger mehr werden kann.
Zeller wiederum ganz Zeller arbeitet sich in "Antrag auf größtmögliche Entfernung von Gewalt" auch wieder am Motiv absurder bürokratischer Prozesse ab, die bei ihr wie ein Parcours voller selbst gestellter Stolperfallen wirken. Das sind die Fasern ihres Textes, in denen sich – trotz des alles andere als leichten Themas – Momente der Komik ihren Weg bahnen.
Den Spieß nicht präzise umgedreht
Diese Sprach-Magie kann sich in der Oberhausener Umsetzung leider wenig entfalten. In Eike Weinreichs Inszenierung wirkt der Abend oft merkwürdig brav, teils lehrstückhaft. Ja, die von einem vierköpfigen Ensemble verkörperten Figuren können als exemplarische Charaktere, gelesen werden. Doch läuft das zumeist frontal ins Publikum Gesprochene zu gleichförmig dahin – und letztlich gleichbleibend ins Leere.
Vor allem die wiederkehrenden sogenannten "Inversion-Girl"-Szenen machen deutlich, woran es dem Abend fehlt. In diesen Szenen drehen die Frauen den Spieß plötzlich um und tun ihren Männern das an, was diese sonst ihnen zufügen. Anarchische Akte der Befreiung, die in Weinreichs Inszenierung beinahe untergehen. Für Zellers unkonventionellen und herausfordernden Text bräuchte es einen präziseren Zugriff. So aber fällt das Ergebnis hinter der Qualität der Zutaten zurück.
von Felicia Zeller
Regie: Eike Weinreich, Bühne: Franziska Isensee, Kostüme: Ines Koehler-Klünenberg, Musik: Elias Baumann, Mitarbeit Musik: Sönke Gaumert, Dramaturgie: Anne Verena Freybott.
Mit: Susanne Burkhard, Rosa Dahm, Anke Fonferek, Maria Lehberg.
Premiere am 17. Mai 2023 am Theater Oberhausen
Dauer: 1 Stunde 30, keine Pause
theater-oberhausen.de