Juices – Ewe Benbenek blickt auf die Arbeitsbedingungen im Niedriglohnsektor
Euer Dandy-Gemüse macht mich würgen!
Lücken und Risse, Erniedrigung und Bringschuld: Ewe Benbenek widmet sich in "Juices" den Leben osteuropäischer Arbeiterinnen im Niedriglohnsektor. Mit einem sprachartistischen Bericht.
Von Marlene Drexler
10. Mai 2024. Der Abend geht los. Und schon stockt es. Im wahrsten Sinne des Wortes. Auf der Bühne, ein schwarzes Podest, sonst nichts: All eyes on den drei Schauspielerinnen also, die von weißem Neonlicht unbarmherzig angestrahlt werden. In Blaumänner gekleidet, stehen sie an der Bühnenrampe und stottern und würgen immer wieder die eine Silbe hervor: "A". Ein Anfang wie ein bockiger Esel, der nicht den Berg hinaufwill. Dann irgendwann der erste inhaltliche Hinweis. Aha, sie wollen anfangen, trauen sich aber nicht, weil sie das Gefühl haben: Wir haben kein Anrecht auf einen Anfang, auf Sichtbarkeit.
Es ist der erste mehr oder weniger konkrete Link zum Thema. Ewe Benbenek hat sich in "Juices" der prekären Arbeitsverhältnisse osteuropäischer Menschen in Deutschland, insbesondere der Frauen, angenommen. Man kennt die Skandale aus der Fleischindustrie oder bei Saisonkräften in der Landwirtschaft. Kritische Stimmen sprechen von moderner Sklaverei: Arbeitstage, die weit über acht Stunden dauern, dazu geringe Löhne, von Urlaubsansprüchen ganz zu schweigen. Und das, damit die Deutschen im Frühjahr ihr geliebtes "Dandy-Gemüse", wie es in "Juices" heißt, genießen können. Gemeint ist der Spargel.
Für mickriges Gehalt am Boden kriechen
Autorin Ewe Benbenek (die 2021 mit Tragödienbastard den Mülheimer Dramatikpreis gewann) ist selbst Ende der 80er Jahren mit ihren Eltern aus Polen nach Deutschland migriert. In ihrem Text liegt der Fokus auf der Figur einer Mutter, die als Reinigungskraft arbeitet. Erzählt wird die Geschichte aus der Ich-Perspektive eines Kindes, aufgeteilt auf drei namenlose Figuren. Der Text gleicht in seiner Form einem unkoordinierten Redeschwall, durchzogen von häufigen Wiederholungen einzelner Wörter und Satzteile: "Bis unsere Körper/ bis unsere Körper/ bis sie entspannen sich/ bis sie sich entspannen tun".
In der Mannheimer Inszenierung der tschechischen Regisseurin Kamila Polívková sind die Spielerinnen einigermaßen proletarisch angelegt, ihre Haltung zu dem, was sie erzählen: sarkastisch, zynisch, distanziert. Die künstliche Sprache wurde hier vor allem auf – eher schlichten – Humor abgeklopft. In einem raren szenenähnlichen Moment geht es darum, dass das Leiden der Ausgebeuteten wohl nur dann anerkannt würde, wenn sie am Boden kriechend und nackt Kohle schippen müssten. Die Inszenierung macht daraus eine platte, ironisch übertriebene Witznummer.
Interessanter wird der Abend immer dann, wenn das, was die Figuren verhandeln, konkreter wird. Die Kinderstimme spricht einmal von "Lücken und Rissen" in der Beziehung zur Mutter. Es wird angedeutet, dass der Kontakt abgebrochen ist – und das Kind unfähig ist, ihn wieder herzustellen. Obgleich es sich das wünscht. Es empfindet auch eine Bringschuld: Die Mutter hat so viel geopfert, um ihm bessere Startchancen zu verschaffen. Da ist das Kind dann nicht zum Scheitern berechtigt.
Was ein Leben im Schatten der Gesellschaft bedeutet, kann besonders eine Szene einfangen: Sie erzählt von einer Erinnerung, die sich dem Kind, während es die Mutter bei der Arbeit begleitete, eingebrannt hat. Beim Putzen in einem Großraumbüro wurden sie von Angestellten, die hereinkamen und gingen, nicht mal gegrüßt. Eine so beiläufige wie sinnbildliche alltägliche Erniedrigung. Es ist ein Moment in der Mannheimer Inszenierung, der erstmals etwas nachdenklicher stimmt und kurz emotional hängen bleibt, bevor die Textfläche weiter mäandert.
Mit der Brechstange gekünstelt
Insgesamt entsteht der Eindruck, dass die gekünstelte, teils bis zur Unkenntlichkeit ihres Sinns verklausulierte Sprache nicht weiter weg sein könnte von den handfesten Problemen der Arbeitsmigrantinnen. Der Mehrwert dieser akademisch anmutenden Sprachspielerei für die Geschichte bleibt unklar. Wenn es überhaupt mal direkter wird, kippt der Diskurs schnell ins Plakative, Brechstangenhafte: "Hätte ich aus meiner Mutter raus quetschen sollen, wie prekär es alles war?"
Die Wortwiederholungen sind am Ende nurmehr Redundanzen. Einen in irgendeiner Form sinnlichen Eindruck davon, worin das körperliche und psychische Leid einer überarbeiteten, schlecht bezahlten Putzfrau besteht, bekommt man an diesem Abend nicht. So braucht sich das Interesse über die hundert Minuten Aufführungsdauer langsam auf. Und nach der Langeweile kommt in der Endszene auch noch der Ärger. Wenn die Spielerinnen in die Zuschauerreihen treten und das Publikum unmittelbar mit "Ihr" im nunmehr hell erleuchteten Raum ansprechen. Und auf die Pelle rücken: "Warum tut 'Ihr' nichts gegen all diese Ungerechtigkeiten?" So sieht unangenehmes Moraltheater aus.
von Ewe Benbenek
Regie: Kamila Polívková, Bühne & Kostüme: Antonín Šilar, Licht: Ronny Bergmann, Musikalische Leitung: Peter Fasching, Dramaturgie: Dominika Široká.
Mit: Antoinette Ullrich, Rahel Weiss, Maria Munkert.
Premiere am 17. Juni 2023 am Nationaltheater Mannheim
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
www.nationaltheater-mannheim.de