Winterkind und Herr Jemineh – Ania Michaelis zeigt Marion Braschs Zauberwürfel-Stück und lässt das Publikum spielerisch Landschaften bauen
Komm, wir spielen Meer!
Eine fantasievolle Reise hat Marion Brasch für ihr Helden-Duo Winterkind und Herr Jemineh ersonnen. Das tjg Dresden in der Regie von Ania Michaelis übersetzt die Reise in Papiertheater, Puppenspiel und Publikums-Action.
Von Falk Lörcher
15. Mai 2024. In Winterkinds Manteltasche wohnt der kleine Herr Jemineh. Er ist eine mürrische Figur, die immer etwas zu meckern hat. Schnee? Das ist doch nichts Besonderes! Und Frühstück fehlt. Als sich die beiden auf die Suche nach Essbarem begeben, finden sie ein mysteriöses Paket. Was da wohl drin ist?
Marion Braschs Kindertheater-Debüt "Winterkind und Herr Jemineh" ist eine von zwei Produktionen des Theater junge Generation (tjg) Dresden, die für den diesjährigen Mülheimer Kinderstückepreis nominiert sind. Die Geschichte hat sich Brasch für ihre inzwischen erwachsene Tochter ausgedacht, wie die Autorin und Radiomoderatorin im Publikumsgespräch erzählt. Neben dem Dramentext wird sie bald auch als Kinderbuch erscheinen.
Spiel mit Scherenschnitten
Regisseurin Ania Michaelis hangelt sich sehr frei an Braschs Text entlang und bringt ihn in einer Mischung aus Schauspiel, Puppentheater und Schattenspiel auf die Bühne. Patrick Borck, Josephine Buchwitz und Simon Latzer tragen bunte Perücken und tauschen immer wieder die Rollen: Winterkind trägt stets einen langen, weinroten Mantel, den sich die Schauspieler*innen im Laufe des Stücks reihum weitergeben. Herr Jemineh ist im ersten Teil der Inszenierung eine leicht gruselige Handpuppe im schwarz weiß karierten Pyjama, die ebenfalls abwechselnd von allen gespielt wird. In Michaelis' Inszenierung ist er bei weitem weniger trotzig und böse als in der Verlagsfassung des Textes.
Auf der Bühne von Grit Dora Zeschau (ebenfalls Kostüm- und Puppenbild) steht eine große weiße Leinwand, die mal als Untergrund für Videoproduktionen dient, mal zur Schattenspielfläche wird, etwa wenn die drei Darsteller*innen umher rennen oder mit Kissen um sich werfen. Links und rechts an der Bühnenrampe stehen Tageslichtprojektoren. Zwischen ihnen ist ein Mikrofon aufgebaut, vor dem immer wieder live Geräusche erzeugt werden, etwa wenn Winterkind und Herr Jemineh durch tiefen Schnee stapfen.
Als Winterkind und Herr Jemineh endlich gefrühstückt haben und Winterkind das große Paket öffnen will, rutscht Herr Jemineh in einen Gulli unter der Parkbank. Über einen der Tageslichtprojektoren werden die Umrisse eines schwarzen Abgrundes auf der rechten Hälfte der Projektionsfläche sichtbar. Herr Jemineh, jetzt nicht mehr als Puppe, sondern als OHP Folie (gespielt von Patrick Borck), versucht verzweifelt der Kloake zu entkommen. "Hier kommt ein Bonbon. Ich hab es angelutscht, kleb dich daran fest", ruft Josephine Buchwitz als Winterkind der kleinen Figur zu. Eine Ratte (gespielt von Simon Latzer), ebenfalls als Scherenschnitt, wird auf der anderen Hälfte der Leinwand erkennbar. Sie wird aus unterschiedlichen Perspektiven gezeigt, ihre Ärmchen sind beweglich. Die Ratte rettet Herrn Jemineh, und die beiden begeben sich auf eine comichafte Reise aus dem Abfluss.
Nachdem Herr Jemineh aus dem Gulli geborgen wurde, öffnen Winterkind und er das Paket. In dem Karton ist ein kleinerer Karton, dann ein noch kleinerer und so weiter. Aus dem kleinsten Päckchen wird schließlich ein goldener Zauberwürfel gezogen. "Wir spielen Hafen", ruft Winterkind von der Bühne. Doch Herr Jemineh ist schon wieder verschwunden – diesmal ist er aus einem Loch in der Manteltasche gepurzelt. Zum Glück kann Winterkind ihren kleinen Freund mithilfe des Zauberwürfels blitzschnell zurückholen.
Kreischendes Publikum
Etwa die Hälfte von Braschs Text wurde gestrichen oder umgeschrieben, auch auf manche der Figuren wartet man in der Inszenierung vergeblich. In der Verlagsfassung verleiht der Würfel den Protagonist*innen die Fähigkeit, fremde Sprachen zu verstehen, was dazu führt, dass sich ganz neue Welten für die beiden öffnen. Diese Momente lässt Michaelis in ihrer Inszenierung aus, was schade ist, da so ein größer und sehr schöner Teil des Textes wegfällt. Auch das Ende – bei Brasch gibt es zwei alternative Enden, über die das Publikum abstimmen darf – wurde abgeändert.
Nichtsdestotrotz ist die Mischung verschiedener Theatertechniken, die hier ineinandergreifen, sehr eindrücklich gearbeitet. Vor allem das Puppen- und Schattenspiel bereitet große Freude, ebenso die Slapstick-Einlagen, die so lustig sind, dass die Kinder im Publikum im Laufe der Aufführung mehrmals ins Kreischen kommen. Der freie Umgang mit dem Text wirkt locker und unverkrampft, auch durch die Distanz, die die Darsteller*innen zum Text aufbauen.
Und einen eigenständigen interaktiven Moment hat sich die Inszenierung auch vorbehalten: An einer Stelle wird das Saallicht über dem Publikum eingeschaltet, und alle Anwesenden sind eingeladen, aufzustehen und mitzuspielen. Das Spiel: ein Unwetter auf hoher See. Die Kinder machen Möwenrufe, schwanken, stampfen und machen Windgeräusche. Eine lebendige Landschaft, ein lebendiges Theatererlebnis.
von Marion Brasch
Regie: Ania Michaelis, Bühne, Kostüme und Puppenentwurf: Grit Dora von Zeschau, Video und Folien: Conny Klar, Musik: Malte Weberruss, Dramaturgie: Ulrike Carl, Johanna Jäger, Theaterpädagogik: Miriam Knoll.
Mit: Patrick Borck, Josephine Buchwitz, Simon Latzer.
Premiere am 29. September 2023 am tjg Dresden
Dauer: 50 Minuten, keine Pause
www.tjg-dresden.de