Iona Daniel: Dunkelschwarz
Schatten werfen keine Schatten
Die freie Theatermacherin Iona Daniel aus Amsterdam tritt mit ihrem ersten deutschsprachigen Theaterstück gleich in Mülheim an. Und lässt uns in die "Ursuppendunkelheit" blicken, vor der man sich nicht fürchten muss.
Iona Daniel, geboren 1989 in Amsterdam, schreibt für verschiedene niederländische Theaterkollektive und Festivals. Außerdem produzierte sie Hörspiele für die niederländischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten VPRO und NTR. Ihr Hörspiel "Alles mag hier" wurde 2022 für den Prix Europa in der Kategorie Radio Fiction nominiert. Gemeinsam mit Rineke Roosenboom hat Daniel das Kollektiv iona&rineke gegründet, mit dem sie Musiktheater und (Audio-)Installationen entwickelt. "Dunkelschwarz" ist Daniels erstes deutschsprachiges Stück und ihre erste Einladung nach Mülheim.
Steckbrief zum Stück
Worum geht es?
Iona Daniel präsentiert auf Basis einer Recherche an Grundschulen eine locker verbundene Szenenfolge, die sich Aspekten des Themas Dunkelheit widmet. Zu Beginn preist eine Figur namens "Dunkel" die Vorfreude als das eigentlich Große an diesem Abend. Die Dunkelheit ist zunächst also der Moment, in dem noch nicht klar ist, was zu sehen und zu erleben sein wird, wenn Licht hinzukommt.
In einer folgenden Szene entdecken zwei fleißige Arbeiterinnen eine Spalte in den dunklen Zuschauerraum und fördern allerlei verloren geglaubte Gegenstände zutage. Ein Reporter stößt hinzu und berichtet, wie die Dunkelheit sich von der Spalte ausgehend ausbreitet, wie sie sich befreit von der ewigen Suche der Menschen nach Licht. Endlich führt er auch ein Interview mit Dunkel, die sich missverstanden fühlt und nicht gesehen von den Menschen.
Das Stück versucht den Facettenreichtum der Dunkelheit zu erkunden. Was verbinden Kinder mit ihr? Es sind ganz offenbar längst nicht nur Ängste, wie eine Auflistung im Stück beweist. Neben der "Glücklichen Sommerdunkelheit" über die "Vollmonddunkelheit“ und die "Unterhosendunkelheit" finden hier auch die "Nachts vom Zelt zur Toilette-Dunkelheit" oder die "Ursuppendunkelheit" Erwähnung.
Worum geht es wirklich?
Ein Theatertext zum Thema Dunkelheit könnte sich zum Ziel setzen, dem Publikum die Angst vor derselben zu nehmen. Und zwar etwa dadurch, dass erklärt würde, was Dunkelheit eigentlich ist, worin sie besteht. Die klare, wissenschaftliche Perspektive würde dann all die Gespenster vertreiben, die sich in den Schatten verstecken. "Dunkelschwarz" verfährt ganz anders. Die Dunkelheit ist zwar auch hier am Ende nichts dezidiert Bedrohliches, doch liegt das daran, dass sie ohnehin nicht auf eine Bedeutung oder eine Wirkung reduziert werden könnte. Denn sie ist deutlich vielschichtiger, als man denkt. Man kann sich nach dem Stück weiter vor ihr fürchten, man kann sich aber auch darauf freuen, was sie am Morgen freigeben wird, man kann Geheimnisse in ihr verstecken oder sie als Haustier halten. Letztlich geht es in diesem Stück auch darum, dass nichts einfach nur Schwarz oder Weiß ist, dass an einem Thema, einer Sache oder einem Gefühl immer verschiedene Dinge interessant und bedenkenswert sind.
Wie klingt das Stück?
So unterschiedlich die Dunkelheit sich hier präsentiert, so vielfältig klingen die Figuren. Die Arbeiterinnen unterhalten sich in einer Mischung aus Deutsch und Niederländisch ("die schläferikheit hat mai even oberfallen"), der Reporter berichtet direkt und live vom Geschehen ("Dunkelheit beginnt zu schwärmen und groß über uns zu hängen. / Pulsiert. / Explodiert als gigantische Pilzwolke."), am Ende streitet sich Dunkel mit einer Lichttechnikerin, bevor diese wieder für Ordnung sorgt: "Hier Licht, dort Dunkelheit. / So sollte es sein, dafür ist es gemacht."
Wohin von hier aus?
Wer raffinierte Licht- und Dunkelspiele mag, wird das Kindertheater die Elektro-Puppentheatermacher*innen von United Puppets lieben. Für populärer gestimmte Gemüter empfiehlt sich nach wie vor die Geisterbahn auf dem Jahrmarkt. Ältere Semester greifen nach Peter Shaffers "Komödie im Dunkeln" (von 1966), die immer mal wieder an Boulevardtheatern läuft.
(Michael Wolf)
7 Fragen an die Autorin
Was steht bei Ihnen ganz am Anfang der Arbeit an einem Stück?
Es beginnt mit einer Idee: einem Thema, etwas, das mir auffällt, oft etwas, das ich ändern möchte an der Art und Weise, wie Dinge funktionieren.
Danach fange ich gleich an zu schreiben, ohne mich allzu sehr vorzubereiten. Eine große Menge an Text, von dem bei weitem nicht alles gut ist, aber aus dem ich Passagen herausschneiden kann, die dem Stück weiterhelfen: ein Anfang für eine Figur, ein Handlungspunkt, die Konturen des Stücks. Von dieser Basis aus kann ich weiterdenken.
Was sollten Stücke für junges Publikum können?
Ein gutes Jugendtheaterstück ist interessant für alle Altersgruppen. Es eröffnet neue Welten für das Publikum und lädt dazu ein, sich damit zu verbinden, aktiv Teil des Geschehens zu werden. Und damit meine ich vor allem: aktiv im Kopf. Angeregt werden, sozusagen.
Was hat in Kinderstücken nichts zu suchen?
Stücke für ein junges Publikum sollten meiner Meinung nach nicht zu heilig sein: Man darf ruhig Geräusche machen, man darf seine Meinung äußern. Im besten Fall wird man in einer guten Jugendvorstellung verzaubert und manchmal auch überwältigt, aber gleichzeitig fühlt man sich eingeladen, öfter zu kommen: Dieser Ort ist auch für dich.
Welche Aussage sollte man nicht mit Ihrem Werk in Verbindung bringen?
Ich kann nicht direkt so viel mit dieser Frage anfangen, ist es in Ordnung, wenn ich sie überspringe?
Was ist Ihre liebste Behauptung über das Theater?
Im Buch "On Connection" schreibt Kae Tempest: "Words on a page are incomplete. The poem, the novel or the non-fiction pamphlet are finished when they are taken up and engaged with. Connection is collaborative. For words to have meaning, they have to be read."
Für mich ist Theater die höchste Stufe dieser Verbindung: eine Kunstform, bei der Schöpfer und Empfänger gleichzeitig im selben Raum sind, ohne Vermittler, ohne Verarbeitungszeit. Nur der Moment, diese Stunde zusammen, die jede Nacht anders ist, weil es ein Zusammentreffen zwischen jedes Mal anderen Menschen ist.
Wer war der Held oder die Heldin Ihrer Kindheit?
Ich hatte nicht eine große Heldin, sondern viele gleichzeitig und nacheinander: Figuren aus den Büchern von Paul Biegel, Joke van Leeuwen und Tonke Dragt, meine Schwester, meine Kindergärtnerin, Suske und Wiske, sowie Charaktere aus obskuren Kinderserien im niederländischen Fernsehen.
Welche Figur aus der Literatur für Erwachsene würden Sie gerne einmal auf einer Kindertheaterbühne sehen?
Die Hauptfigurin aus "Parable of the Sower" von Octavia E. Butler: ein dystopischer Roman über eine zukünftige Welt, die unter großer Dürre, Hitze und extrem ungleicher Verteilung des Reichtums leidet. Es ist das Tagebuch der fünfzehnjährigen Lauren Olamina, in dem sie eine Vision für eine neue Gestaltung der Welt entwickelt, fast wie eine moderne Religion. Manchmal können die wildesten und jüngsten Ideen die interessantesten Einsichten bieten, die noch nicht vom Zynismus und dem Denken in Unmöglichkeiten infiziert sind. Ein junges Publikum kann damit meiner Meinung nach etwas anfangen.