io io io shit

Thomas Köck legt mit "forecast : ödipus. living on a damaged planet (τύφλωσίς, II)" seine Version der Ödipus-Geschichte vor. Und greift mitten hinein in die Krisen unseres Endzeit-Kapitalismus.

"forecast:ödipus" von Thomas Köck, uraufgeführt in der Regie von Stefan Pucher am Schauspiel Stuttgart © Katrin Ribbe

Thomas Köck, geboren 1986 in Wolfern/Oberösterreich, ist Autor und gelegentlich auch Regisseur. Sein Output ist sagenhaft, jede Saison kommen mehrere seiner Stücke an großen Stadttheatern heraus, aber auch an kleineren freien Häusern wie dem Berliner inklusiven Theater RambaZamba. Zwei Mal gewann Köck den Mülheimer Dramatikpreis: 2018 mit "paradies spielen (abendland. ein abgesang)" und 2019 mit "atlas".

Steckbrief zum Stück

Worum geht es?

Die antike Geschichte des König Ödipus ist gut wiedererkennbar: Der Thebener Herrscher Ödipus muss im Laufe seines Dramas erkennen, dass er – genau wie es einst das Orakel in Delphi prophezeit hatte – vor der Thronbesteigung unwissentlich seinen Vater Laios tötete und seine Mutter Iokaste ehelichte, weshalb das Königreich nun mit einer Pest als Götterstrafe überzogen ist. Den Prozess von Ödipus' Selbsterkenntnis hat Köck (im Rückgriff auf Sophokles' Dramatisierung) seinem Stück zugrunde gelegt.

Allerdings findet dieser Aufklärungsprozess des Ödipus bei Köck in einer nicht näher definierten Zukunft statt, nicht allzu weit entfernt von heute, in einer Zeit "am ende aller rohstoffe". Theben erscheint als Landschaft "aus polygonen und geschmolzenen pixels" wie in Computergraphiken; denn der Mythos gilt Köck als so etwas "wie datenreste auf alten festplatten / eines ehemals hochgejubelten neuen speichersystems". Und natürlich geht es Köck nicht mehr um die Antike und ihre Aristokratie, sondern um fundamentale Selbsterkenntnis für unsere Gegenwart.

Worum geht es wirklich?

Die berauschte Priesterin Pythia als Orakel von Delphi macht es ziemlich unmissverständlich deutlich: "ich habe gesagt, das system laios muss weg", ruft sie und meint damit das kapitalistische Wirtschaftssystem, das auf Konkurrenz, Wachstum und maximale Ressourcenausbeutung setzt und den Planeten für alle sichtbar in den Ruin treibt (weshalb im Stücktitel ja auch der "damaged planet" angesprochen ist).

Leider findet Pythia mit ihrer Kritik ebenso wenig Gehör wie ihre spätere Mitstreiterin Iokaste, wenn sie im Finale wütende aktivistische Anklagen gegen die herrschenden Macher (Ödipus und Kreon samt ihrem Seher und Nach-dem-Mund-Redner Teiresias) richten. Der Thebener Chor ("ich bin die mitte der gesellschaft") erscheint als dekadenter Wohlstandsbürgertross, dem mehr an der Bewahrung der Automobilindustrie liegt (Seitenhieb auf den Uraufführungsort Stuttgart) als am Überleben des Menschen. "io io io shit schau / einer sich den gefallenen an" beklagen diese Popanze des Konsumismus chorisch den Untergeher Ödipus und ignorieren ihren eigenen Anteil am Verfall. So wird Ödipus zum Gleichnis auf das Dilemma der Handlungshemmung im Spätkapitalismus.

Wie klingt das Stück?

Köck hat sich einen schönen Mix angerichtet. In eine rhythmisierte Hochsprache mit kräftig vorantreibenden Jamben mischt er gute Portionen Denglisch: Ödipus, der Schwellfuß, ist bei ihm "Bigfoot", Sätze wie "zweifelst du / an meiner governance" purzeln locker in Dispute zwischen Ödipus und Kreon. Immer wieder flutscht knackiger Jugendsprech herein ("hör auf du machst mir angst / mit dem geflenne und den paranoiden fragen"). Könnte gewollt wirken, kommt aber tatsächlich ziemlich lässig verfremdend rüber.

Wohin von hier aus?

Im Grunde natürlich auf die Barrikaden, zum Kampf gegen das kapitalistische Überflussmodell. Wer lieber bei der Theorie bleibt, kann auf die Sachbuchliteratur zurückgreifen, die Köck im Vorspann selbst angibt (unter anderem Wolfgang Streeck: "How Will Capitalism End?") oder auf andere Klassiker zur Kreislaufwirtschaft in den planetaren Grenzen (etwa Kate Raworth: "Doughnut Economics"). Dass Ödipus in der Gegenwartsdramatik als Nr.-1-Klimakrisenparabel taugt, ist eh ausgemacht (siehe etwa Alexander Eisenach: Anthropos Tyrann (Ödipus), mit Klimaforscherin Antje Boetius als Orakel).

Das im Text angelegte Spiel der Polygonen und Pixel wiederum führt direkt in Welten, wie sie die Regisseurin Susanne Kennedy regelmäßig entwirft (Ultraworld). Köck & Kennedy, ein Regie-Match made in heaven, um in der Diktion des Textes zu bleiben. Wenn das nicht kappt, muss man sich mit der Computer-Simulation "Opera – A Future Game" begnügen, die Thomas Köck gemeinsam mit Michael von zur Mühlen erstellte, wofür's einen Faust-Preis 2023 gab.

(Christian Rakow)

ThomasKoeck 1200 Max ZerrahnThomas Köck © Max Zerrahn

7 Fragen an den Autor

Was steht bei Ihnen ganz am Anfang der Arbeit an einem Stück?

Das letzte Stück, der letzte Gedanke, der letzte Film, das letzte Lied, das letzte Buch.

Was sollten Stücke können?

Singen.

Worüber könnten Sie niemals schreiben?

Ich weiß nicht, ob ich überhaupt "über" etwas schreibe – aber wenn ichs wüsste, würde ich darüber schreiben.

Was ist Ihre liebste Behauptung über das Theater?

Dass Theater einen Auftrag hat.

Welche Aussage sollte man nicht mit Ihrem Werk in Verbindung bringen?

Dass Theater einen Auftrag hat.

Welcher Klassiker imponiert Ihnen? Und warum?

Imponieren – das Wort habe ich noch nie mit Texten oder Autor:innen in Verbindung gebracht. Insofern: keiner. Wobei, ich war immer Fan von the last poets.

An welchem Ort, abgesehen von Bühnen, würden Sie Ihr Stück gerne einmal aufgeführt sehen?

Als Computerspiel hätte ich gesagt, gabs aber schon – ansonsten in jeder Küche, jedem Schlafzimmer usw. Wenn Menschen die Texte zu Hause lesen oder gar spielen, so selbstverständlich, wie ich Musik höre, fände ich das schon ziemlich toll.

Kommentar schreiben

Mehr zu Thomas Köck