Friede den Feinden

Henner Kallmeyer schickt "Blinde Passagiere" in den Bauch des Trojanischen Pferdes. Um einen Frieden auszuhandeln, an den niemand glauben mag. Schon gar nicht die Götter.

"Troja. Blinde Passagiere am trojanischen Pferd" von Henner Kallmeyer, uraufgeführt von Frank Hörner am theaterkohlenpott Herne © Young-Soo Chang

Henner Kallmeyer, geboren 1974 in Lübeck, ist Autor und Regisseur. Er inszenierte unter anderem am Staatstheater Hannover, am Schauspielhaus Bochum, am Theater Bielefeld, am Grillo Theater Essen, am Deutschen Theater Göttingen, am Staatstheater Stuttgart und an den Wuppertaler Bühnen. Außerdem unterrichtet er an der Folkwang Universität der Künste Essen sowie am Inklusiven Studio Wuppertal. Im Rahmen seiner Regiearbeit bearbeitete er mehrfach Romane, etwa "Felix Krull" von Thomas Mann, und entwickelte eigene Stücke.

Steckbrief zum Stück

Worum geht es?

Die Handlung variiert eine zentrale Passage aus Homers "Ilias". Während die Griechen sich nach jahrelanger Belagerung Zugang zur Stadt verschaffen, treffen im Inneren des Trojanischen Pferds zwei Kinder aufeinander: Briseis ist Griechin, Spourgitis ist Trojaner. Mithin sind die beiden Feinde, und am Ende dieser Begegnung müsste einer von ihnen tot sein. Ungeduldig wartet der Gott Hermes am Rande der Szene auf das Ende ihres Kampfes. Doch der will gar nicht richtig beginnen. Statt mit Waffen aufeinander loszugehen, sprechen die beiden miteinander, lernen einander kennen und sind sich bald nicht mehr sicher, worin eigentlich der Sinn liegen soll beim Kämpfen.

Worum geht es wirklich?

Um den Menschen als kriegerisches Wesen. Kallmeyer weist auf die unterschiedlichen Versionen der Vorgeschichte des Trojanisches Krieges hin. Die Griechen glauben, die Trojaner hätten Helena entführt. Die Trojaner sind sich sicher, dass Helena freiwillig mit Paris nach Troja gegangen ist. Die gegnerischen Parteien haben somit jeweils gute Gründe, zu den Waffen zu greifen, doch stimmen beide Sichtweisen wiederum nicht mit der Realität überein.

"Das erste Opfer im Krieg ist die Wahrheit", heißt es sprichwörtlich. Kallmeyer findet in der Abwesenheit einer bestimmten Wahrheit jedoch auch den Ausweg aus der Konfrontation. Denn sobald Feinde miteinander sprechen und sich füreinander interessieren, sobald sie Zweifel an ihrer eigenen Version der Geschichte zulassen, wie es Briseis und Spourgitis hier stellvertretend tun, ist der Friede bereits wahrscheinlicher als der Krieg.

Wie klingt das Stück?

Statt sich aufs Blut zu bekämpfen, liefern sich die Hauptfiguren ein Wortgefecht. Die Repliken folgen im schnellen Wechsel aufeinander. Auftritte von Hermes und Rückblicke auf den Beginn des Krieges kommen dazwischen, doch im Wesentlichen vollzieht sich das Stück im Rahmen dieser einen Begegnung zwischen zwei jungen Menschen, die gelernt haben, einander zu hassen, es dann aber nicht so richtig hinbekommen. In ihrem Dialog findet sich viel Heiteres, Wahres, aber auch Bitteres über den Menschen.

"Spourgitis: Glaubst du, wenn Frieden ist denken wir, das ist normal?
Briseis: Kann ich mir nicht vorstellen. Frag mich nochmal, wenn Frieden ist.
Spourgitis: Woran merke ich das?
Briseis: Wenn alles kaputt ist, wahrscheinlich."

Wohin von hier aus?

Im Grunde direkt rüber in den Dramatikwettbewerb zu Thomas Köck oder Roland Schimmelpfennig. Denn die Antike liegt im Trend, in Mülheim wie auf den Stadttheaterbühnen allerorten. Wer sich erst einmal inhaltlich fit für die "Ilias" und den Kampf um Troja machen möchte, der liegt bei Sommers "Weltliteratur to go" auf YouTube richtig.

(Michael Wolf)

 

Henner Kallmeyer Foto Uwe SchinkelHenner Kallmeyer © Uwe Schinkel

7 Fragen an den Autor

Was steht bei Ihnen ganz am Anfang der Arbeit an einem Stück?

Eine Situation, eine Figur (manchmal auch eine deadline).

Was sollten Stücke für junges Publikum können?

Im Gegensatz zu Stücken für altes Publikum? Ich glaube, der Unterschied liegt nicht in den Stücken, sondern im Publikum. Abendspielplan ist ja leider meist predigen für den Chor. Am Vormittag kommt das Publikum, das der Abend sich wünscht: laut,
divers und meinungsstark.

Was hat in Kinderstücken nichts zu suchen?

Das weiß ich nicht. Stattdessen könnte ich aber sagen, wen ich gerne mehr in Kinderstücken sehen würde: KritikerInnen zum Beispiel. Kein einziges der eingeladenen Kinderstücke wurde von nachtkritik besprochen. Das Kindertheater, das ich kenne, ist wie sein Publikum: laut, divers und meinungsstark. Eine überregionale kritische Auseinandersetzung findet nicht statt. Das ist doch sehr schade.

Welche Aussage sollte man nicht mit Ihrem Werk verbinden?

Weiß ich auch nicht, dafür beantworte ich die nächste Frage länger.

Was ist Ihre liebste Behauptung über das Theater?

Ich will ein Ensemble der FREUNDSCHAFT. Ich will, dass sich gemocht, respektiert, bewundert, wohlwollend betrachtet wird. Ich will mich verlieben in jede/n einzelne/n Beteiligte/n. Ich will nett sein. Und ich will geliebt werden. Ich will mich nicht anschreien, außer wenn es absolut nötig ist, wie es in einer Freundschaft in äußersten Fällen unbedingt nötig ist, sich anzuschreien aus purer Liebe. (Milena Michalek, Das hier. Das ganze Theatermanifest aus dem Stück ist eigentlich meine liebste Behauptung über das Theater. Aber Sie haben um kurze Antworten gebeten.)

Wer war der Held oder die Heldin Ihrer Kindheit?

Gert Günther Hoffmann. Das wusste ich damals allerdings noch nicht. Er war der Synchronsprecher von Captain Kirk und Old Shatterhand. Außerdem von James Bond (Sean Connery UND George Lazenby), Rock Hudson und Paul Newman, manchmal Marlon Brando und anderen. Alle Heldenfiguren meiner Kindheit haben mit der gleichen Stimme gesprochen.

Welche Figur aus der Literatur für Erwachsene würden Sie gerne einmal auf einer Kindertheaterbühne sehen?

Hanno Buddenbrook.

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