Schnelle Schnitte

Thomas Freyers "Geschichten vom Aufstehen" zeigen Kinder am Übergang von der Kita zur Grundschule in ihren Alltagsnöten. Und in ihrer Hoffnung auf eine Verbundenheit durch die Kraft des Erzählens.

"Geschichten vom Aufstehen" von Thomas Freyer, uraufgeführt von Jan Gehler am theater junge generation in Dresden © Marco Prill

Thomas Freyer, geboren 1981 in Gera, debütierte 2006 mit dem Ego-Shooter-Text "Amoklauf mein Kinderspiel" und gehört seither zu den etablierten Dramatikern im deutschsprachigen Theater. Eine enge Zusammenarbeit verbindet ihn mit dem Regisseur Tilmann Köhler. Nach Mülheim ist Freyer erstmals eingeladen.

Steckbrief zum Stück

Worum geht es?

Thomas Freyer legt Szenen aus der Nachbarschaft vor – zwischen Spielplatz, heimischen vier Wänden und Altersheim. Wie auf einem Wimmelbild erleben die Kinder zwischen letztem Kitajahr und erster Klasse Grundschule die Unbill des Alltags. Es sind keine großen Dramen, aber doch konfliktreiche Situationen: Es gibt Streit unter Freundinnen, die sich über ihrem Gechichtenerzählen entzweien, einen ungeliebten Besuch bei Uropa im Altersheim, das Staunen über das luxuriös überbordende Spielzimmer, wenn jemand einen neuen Freund erstmals besucht.

Worum geht es wirklich?

Das Konversationsstück stellt die Normalität eines modernen Alltags in größtmöglicher Diversität und Selbstverständlichkeit vor: Rabea und Danny leben in einer Familie mit zwei Vätern, die von Armutssorgen geplagt sind. Im Wohlstandshaushalt gegenüber, wo der Vater am Küchenherd gekünstelt parliert, während er mit seinen Kochkünsten wieder und wieder scheitert, haben die Eltern ein stummes und offenbar schwerbehindertes Kind und wenig Zeit für ihren Sohn Frederick. Im Altersheim begegnet die demente Straßenbahnfahrerin dem kleinen, allein umherlaufenden Ben (der sich vor dem Besuch bei seinem Uropa drückt). Rabea und Anna zerstreiten und versöhnen sich über ihrer geteilten Fabuliersucht. So ist das Leben. Das Stück schildert viele kleine Probleme, aber keines zum Verzweifeln. So übt das Stück Problembewusstmachung und Problemlösungsstrategien im kindlichen Alltag ein. Ein Drama für die Steigerung von Resilienz.

Wie klingt das Stück?

Freyer entwirft sein Panorama in Short-Cuts-artig schnellen Szenen voll schlagfertiger Dialoge. Dass die Figuren am Übergang von der Kita zur Schule stehen, merkt man ihnen nicht an. Ihr Reden ist geradezu eloquent, kindliche Einlassungen wachsen immer wieder über sich hinaus in eine souveräne, mitunter leicht altklug anmutende Spitzzüngigkeit. Etwa wenn sich eine der Protagonistinnen vorstellt: "Rabea Röbler. Klasse 1 a. Wiesengrundschule. Alles wie bei meinem Zwillingsbruder. Danny. Nur klüger. Und schöner. Und ein bisschen schneller."

Wohin von hier aus?

Da die Konversationskunst dieses Stücks schon deutlich in Richtung Erwachsenenliteratur lugt, kann man auch gleich zwei Stufen überspringen und bei den Altmeistern der Short-Cuts-Dramatik wie Botho Strauß ("Paare Passanten") oder Dea Loher ("Das letzte Feuer") landen.

(Christian Rakow)

Freyer Foto quer Matthias HornThomas Freyer © Matthias Horn

7 Fragen an den Autor

Was steht bei Ihnen ganz am Anfang der Arbeit an einem Stück?

Am Anfang steht die Suche nach den Fragen, um die herum das Stück gebaut wird. 

Was sollten Stücke für junges Publikum können?

Ambivalenzen aushalten. 

Was hat in Kinderstücken nichts zu suchen?

Einfache Antworten.

Welche Aussage sollte man nicht mit Ihrem Werk in Verbindung bringen?

Freyer kennt die Lösung und braucht 40 Seiten, um sie zu erörtern. 

Was ist Ihre liebste Behauptung über das Theater?

Dass am Anfang jeder Arbeit größtmögliche Freiheit besteht. Wenn mir das gerade keine Angst macht, kann ich das genießen. 

Wer war der Held oder die Heldin Ihrer Kindheit? 

Colt Seavers und Flemming Polvsen. Aus unterschiedlichen Gründen. 

Welche Figur aus der Literatur für Erwachsene würden Sie gerne einmal auf einer Kindertheaterbühne sehen?

Da fällt mir leider nichts ein. Anders herum gefragt, wäre meine Antwort: Pluck mit dem Kranwagen

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