Knallig gegen die Klimakrise

Der Staat geht unter und mit ihm die Welt. Aber die Schuldigen, Ödipus und sein Volk, wollen es nicht wahrhaben. Stefan Pucher inszeniert Thomas Köcks Gleichnis auf die Menschheit in der Klimakrise. Und lässt sich den Spaß nicht verderben.

Von Michael Wolf

"forecast:ödipus" vom Thomas Köck, uraufgeführt von Stefan Pucher am Schauspiel Stuttgart © Katrin Ribbe

23. Mai 2024. Das Problem ist bekannt, die Ursache ist erforscht, die Lösung liegt auf dem Tisch. Und doch gibt es kaum nennenswerte Erfolge. So ließe sich mit Blick auf die mäßige Reduktion von Treibhausgasen der aktuelle Stand des Klimaschutzes zusammenfassen. Was hemmt Gesellschaften, Staaten und Volkswirtschaften? Was lässt sie zögern?

Zu Beginn heißt es in Thomas Köcks Stück forecast:ödipus: "wenn ihr stoppt mitzuspielen / endet die vorstellung / dann endet der mythos / dann kommt alles ins stottern". Das ganze Stück ist ein Aufruf zum Bruch mit der Vergangenheit. Es ist eine Dramatik gewordene Ermutigung, die ausgetretenen Pfade des Wirtschaftens, Produzierens, Konsumierens und Herrschens zu verlassen.

Beharrungskräfte gegen längst gefundene Erkenntnisse

Wir erinnern uns: Ödipus hatte unwissentlich seinen eigenen Vater erschlagen, ebenso ahnungslos seine Mutter geheiratet und danach, solange es ging, die Augen vor dem eigenen Verbrechen verschlossen. Die Parallelen zum Klimawandel liege hier zutage: Solange die Sache mit dem Treibhauseffekt nicht bekannt war, konnte die Menschheit noch schuldlos schuldig werden.

Wie lange jedoch darf man das längst Offenbare ignorieren? Das ist die eine Frage, die Köck interessiert. Die andere betrifft den Umstand, dass es stets deutlich schwerer zu sein scheint, Veränderungen vorzunehmen als genauso weiterzuleben wie bekannt, selbst wenn dieser Weg in Irrweg und Tod führt.

Warum ist das "Weiter so" eigentlich wahrscheinlicher als die Revolution? Eine normative Kraft des Vergangenen wirkt immerzu, selbst wenn sich diese Vergangenheit längst als erfunden und erlogen erwiesen hat. Köck möchte auf die Beharrungskräfte von Mythen, Ideen und Ideologien hinaus, also auf die Mechanismen, mit denen sie überkommene Handlungsweisen über Zeitalter hinweg konservieren.

forecast oedipus5 1200 katrin ribbeThomas Köcks "forecast:ödipus" vom Schauspiel Stuttgart mit Sebastian Röhrle als Kreon und Thomas Hauser als Ödipus © Katrin Ribbe

Auf der Bühne stehen mit dem Orakel Pythia und dem Seher Teiresias gleich zwei Figuren, die in die Zukunft blicken können und damit eine Fähigkeit besitzen, die in unserer Gegenwart längst demokratisiert wurde. Es sind nunmehr keine von der Gesellschaft getrennten Eliten mehr vonnöten, um den Weg ins Morgen zu weisen. Michael Stillers Teiresias ist entsprechend irritiert darüber, dass er hier immer noch weissagen soll. Alles liege doch auf dem Tisch, ein jeder wisse längst Bescheid! Warum nur brauche es also noch Seher wie ihn?

Als Leser und Zuschauer weiß man es auch nicht. Absichtsvoll hat Köck bereits ganz am Anfang seine Pointe verraten, damit man hernach die Elite Thebens in aller Ruhe dabei zusehen kann, wie sie die Enthüllung der Katastrophe immer noch ein wenig aufschieben. Irgendwann reicht es dann aber Iokaste und Pythia, die mehr oder weniger unvermittelt den Ausstieg aus den gewohnten Strukturen fordern. Von einer Handkamera verfolgt, klagen sie da die Herrscherkaste an, wüten gegen Ödipus, Kreon und Teiresias und den Chor aus grau gekleideten Rentnern, die sich nur eines wünschen: dass alles ("back to normal") wieder so wird, wie es einmal war.

Grelles Katastrophenspiel

Zwischen dem Prolog, der dazu aufruft, den Mythos zu verlassen und dem Ende, an dem – typisch Tragödie – genau dieser erhoffte Ausbruch nicht gelingt, liegen zwei Stunden. Regisseur Stefan Pucher füllt sie mit vielen kleinen Einfällen, zum Beispiel mit Projektionen einer computeranimierten Medusa, die Köcks Regieanweisungen vorliest, mit Einspielern von Autounfällen aus einem Videogame, mit Kunstblut und jeder Menge Bühnennebel. Annabelle Witt steuert dazu Kostüme bei, die sich auf halber Strecke zwischen Haute Couture und Knallbonbon treffen. Der Schriftzug "See for yourself" prangt auf der Rückwand, deren Halbrund eine Berglandschaft ziert, die Bühnenbildnerin Nina Peller zeitweilig in blutrotes Licht taucht.

Pucher treibt sein elfköpfiges Ensemble zu Lautstärke und Tempo an und nimmt gerne auch das eine oder andere Klischee mit. Recht so. In einem Stück, in dem die Wiederkehr des Immergleichen angeprangert wird, darf Thomas Hauser als Ödipus natürlich sehr gerne kreischend mit ausgestochen Augen über die Bühne irren. Überhaupt merkt man der Inszenierung an, dass sie sich, Krise hin oder her, den Spaß nicht verderben lassen will. Die Klimakatastrophe ist hier eine ganz vergnügliche Angelegenheit.

 

forecast:ödipus. living on a damaged planet
von Thomas Köck
Inszenierung: Stefan Pucher, Bühne: Nina Peller, Kostüme: Annabelle Witt, Musik: Christopher Uhe, Video / Live-Video: Ute Schall, Hannes Francke, Dramaturgie: Carolin Losch.
Mit: Thomas Hauser, Therese Dörr, Sebastian Röhrle, Michael Stiller, Katharina Hauter, Celina Rongen, Marietta Meguid, Josephine Köhler, Teresa Annina Korfmacher, Jannik Mühlenweg, Valentin Richter.
Premiere am 13. Mai 2023
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.schauspiel-stuttgart.de
Kommentar schreiben

Mehr zu Thomas Köck