Die große Standpauke

Wie sehr fühlt man sich von Thomas Köcks Klimakrisenstück "forecast:ödipus" als Publikum ertappt? Beim Nachgespräch ging es auch um die politische Macht der Senioren.

Von Svenja Plannerer

Das Publikumsgespräch zu "forecast:ödipus" © sp

23. Mai 2024. Wie der greise Chor in forecast:ödipus - living on a damaged planet gesagt hat, geht es nach der intensiven Vorstellung von Thomas Köcks Stück erstmal "back to normal". Zurück zum Alltagsgeschäft der Mülheimer Theatertage mit dem Publikumsgespräch, moderiert von Eva Behrendt.

"forecast:ödipus" ist als Auftragswerk für das Schauspiel Stuttgart entstanden. Was Köck an dem Stoff gereizt habe, sei gewesen, dass trotz des vorliegenden Wissens aus den Prophezeiungen zunächst weitergemacht werde wie bisher. Wie beim Klimawandel eben auch. Dass der durch uns Menschen angetrieben und eskaliert wird, ist ja nicht erst seit gestern bekannt. Trotz zahlreicher Warnungen von Expert*innen aus der Wissenschaft kommen die Gegenmaßnahmen gegen den Treibhauseffekt viel zu spät ins Rollen. Der Widerstreit zwischen dem Orakel von Delphi, Pythia, und dem blinden Seher Teiresias bilde die Diskussion zwischen Expert*innen ab, ergänzt Köck: die vielleicht etwas naiv-idealistisch anmutende Pythia, die das System noch in Frage stellt, versus den vom politischen Alltagsgeschäft pragmatisch gewordenen Teiresias.

Wie Carola Rackete loslegen

Der Regisseur des Abends, Stefan Pucher, verrät, dass während des Probenprozesses eher wenig Kontakt mit Köck bestanden habe, wenn dann sei dieser aber immer produktiv gewesen. Das Weltbild, das Köck im Stück beschreibe, sei "voll auf der Linie". Die Zukunftsfähigkeit sei uns abhanden gekommen, und in unserer Zeit seien eigentlich keine Tragödien mehr möglich, weil wir schon mitten in einer leben. Köck zeichne die feine Linie zwischen einer Beinahe-Farce und der Tragödie vor.

Therese Dörr, die eine ganz in Gold gehüllte Iokaste gespielt hat, habe sich gefreut, die, wie Behrendt es ausdrückt, "große Standpauke" halten zu dürfen. Köcks Sprache an sich habe schon viel Kraft, Sound und Rhythmus. Behrendt meint, unter der Figur von Pythia Anklänge von Carola Rackete und ihrem Aktivismus gefunden zu haben. Für die Spielerin Katharina Hauter ist Pythia ist eine vielschichtige Figur – kein einfaches Stereotyp, sondern sei ein "auch, nicht nur".

Eine Zuschauerin meldet sich zu Wort. Sie wohne mittlerweile in Amerika und sehe in diesen beiden Frauenfiguren den kollektiv-emotionalen Schmerz der Frauen (Iokaste) und die weibliche Intuition (Pythia), die sie auch in Übersee auf der Bühne beobachten könne. Als Regisseurin hätte sie vielleicht das Stück nach Iokastes Monolog enden und die Männer nicht mehr zu Wort kommen lassen, meint sie. Dramaturgin Carolin Losch erklärt, dass darüber bei den Proben viel gesprochen worden sei. Im Kosmos des Theaters sei man sich aber auch immer bewusst, dass man ja "zu Ende spielen" muss. Dörr ergänzt, dass für sie der Schluss immer sehr unangenehm sei. Für ihre Figur sei es schrecklich, dass sich die männlichen Protagonisten durchsetzen könnten und alles beim Alten bleibe – wie der Chor eben sagt, "back to normal". Thomas Hauser, der Ödipus gespielt hat, ergänzt, dass es den Figuren ganz klar misslingt, die nötige Zäsur zu setzen, um eine Änderung zu bewirken.

Die Macht der Senioren

Ein Zuschauer findet es schade, dass der greise Chor so sehr ins Lächerliche gezogen werde, schließlich repräsentiere er eine Bevölkerungsschicht, die politisch bestimmend sei. Pucher findet den Chor mit seinen Anliegen zunächst mal sympathisch, auch wenn sie vollkommen verquer seien. Es handle sich um die Nachkriegsgeneration, die durchaus auch stolz darauf ist, das Land wieder aufgebaut zu haben. Und nun würden sie sich bewusst, dass sie als Generation eben auch Verantwortung mittragen an vielen Schäden, die den Planeten gefährden. Sollten denn nun jahrzehntelange harte Arbeit umsonst gewesen sein

Gleichzeitig wohnt dieser Generation ein gefährliches Potential inne. Dörr bringt es auf den Punkt: Senioren hätten eben eine große Macht, man denke an die anstehenden Wahlen. Denken sie denn beim Wählen auch an die Zukunft jüngerer Menschen oder nur an ihre eigenen Interessen, à la "nach mir die Sintflut"?

Zuletzt meldet sich noch ein Zuschauer, der sich vom Stück ertappt gefühlt hat. Ihm hätten aber konkrete Lösungsansätze gefehlt. Köck weist darauf hin, dass gerade Pythia sehr genaue Ideen habe, etwa den Spitzensteuersatz zu heben, Umverteilung von Vermögen in Angriff zu nehmen und der Natur ein gesetzlich verankertes politisches Mitspracherecht zu geben. Das alte System müsse eben weg. Dem gegenüber stehe eben wieder Teiresias' realpolitische Ebene, sagt Losch. Pucher ergänzt: Pythias Forderungen sind heikel und gewagt. So einfach sei das dann eben doch nicht.

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