Publikumsgespräch Sivan Ben Yishai
My own personal Jesus
Das letzte Publikumsgespräch zeigte eine Dramatikerin mit theologischer Verve und verriet, wie die Dinge in Mülheim manchmal anders laufen als am heimischen Uraufführungtheater.
Von Michael Wolf
26. Mai 2024. Auf einmal wird es theologisch. Das Problem mit Jesus sei die Auferstehung gewesen, erklärt da die Dramatikerin Sivan Ben Yishai. Das letzte Publikumsgespräch der Mülheimer Theatertage steht traditionell unter den schwierigen Vorzeichen, dass alle schon der Jurydebatte entgegenfiebern und auch die Zeit ein wenig tickt. Aber Jesus sorgt noch einmal für eine Vollbremsung.
Also die Auferstehung: Dadurch, dass Jesus' Körper nie zerfallen sei, dadurch dass er einfach verschwunden sei, habe er niemals den Kreis schließen können, habe sein Fleisch niemals neues Leben genährt. Die Idee stammt nicht von ihr, und auch von keiner Theologin, sondern von der Schriftstellerin Sophie Strand, die großen Einfluss auf Ben Yishais Schreibprozess hatte und auf die auch der Titel ihres Stücks "Nora oder wie man das Herrenhaus kompostiert" referiere.
Eigentlich hätte das Haus in Flammen aufgehen sollen, verrät die Dramatikerin weiter. Das wäre auch der übliche Weg gewesen, wie Regietheater-Berserker üblicherweise mit unliebigen Klassikern umgegangen sind: Zerlegen, besudeln, die Reclam-Hefte abfackeln! Sivan Ben Yishai steht mit ihrer "Überschreibung" oder "Neuschreibung" (ein Begriff, den sie selbst bevorzugt) in dieser Nachfolge, lässt die erprobten Methoden aber erklärtermaßen hinter sich. "We cannot burn it, we live in it", sagt sie (in einem Englisch, in das die gebürtige Israelin immer wieder deutsche Schlagwörter einfließen lässt). Es gehe nicht darum, den Kanon zu verabschieden, sondern etwas mit ihm anzustellen, dafür zu sorgen, dass aus seinem Nährboden etwas Neues erwachse.
Versenkung des Herrenhauses in Hannover
Pathos trifft also auf intellektuelle Verwegenheit bei diesem Publikumsgespräch. Und ja, es ist schön zu sehen, wie die Dramatikerin hier die Hauptrolle spielt, was gar nicht so oft vorkommt im Theaterbetrieb. Während sie nicht durchweg nachvollziehbar, dafür aber angenehm unbescheiden ihre Poetik entfaltet, beantwortet der Rest des auf dem Podium sitzenden Teams Fragen zum Kleinklein so einer Theaterproduktion. Gerhild Steinbuch, die das Stück aus dem Englischen übersetzt hat, sagt ein paar Worte zum gemeinsamen Arbeitsprozess. Regisseurin Marie Bues beantwortet die Detailfrage eines Zuschauers: Ja, das sei schon Absicht gewesen, dass am Ende die Techniker sichtbar auf der Bühne gekommen seien, dadurch habe sich das Bild vergrößert.
Schauspieler Tobias Kessler erklärt, dass sie bei den Proben zeitweilig erwogen hätten, die Fußnoten im Text räumlich zu übersetzen (woraus dann aber nichts wurde). Und Dramaturgin Nora Khuon berichtet dem Mülheimer Publikum pflichtschuldig, dass die Inszenierung in Hannover ein bisschen anders endet als beim Gastspiel in Mülheim. Dort könne das Herrenhaus auch ein kleines Stück im Boden versinken. Ach egal, denkt man sich da, Hauptsache es ersteht nicht wieder auf!